Zwischen Diktat und Diskussion

Oder: Ferien im sonnigen Nachkriegsdeutschland

Es ist Donnerstag in der achten Stunde. Unser 15-köpfiger Sc-Kurs steht gähnend auf dem Schulhof und überlegt wieder einmal, ob sich das mühselige Treppensteigen in den dritten Stock bereits jetzt durch die Anerkennung des Lehrers bezahlt machen wird. Gegen Ende unserer „Leidenszeit“ lassen wir uns jedoch weder vom Gong noch vom angeblich pünktlich erscheinenden Lehrer beeinflussen, sondern gleichen uns hinsichtlich der Zeiteinteilung diesem immer stärker an. Erfahrungsgemäß bedeutet das einen regelmäßig um zehn Minuten verspäteten Unterrichtsbeginn. Im Ausnahmefall erspähten wir Imperator Sc einige Minuten „zu früh“ auf dem Übergang zum B-Haus, sich stets „perplex“ umschauend. Daraufhin schlugen wir immer fluchtartig den Weg in die Folterkammer ein.

Hechelnd dort angekommen, fanden wir unseren Lehrer wild in seinen Aufzeichnungen blätternd vor. Es folgten die obligatorischen Fragen „Was hattet ihr auf“ und „Wo sind wir letzte Stunde stehengeblieben“. Nach in der Regel von Anna gegebener Antwort wurde meist einer der beiden „langhaarigen Bombenleger“ Harald (gemeint war Nachbar Andi) oder Andreas (gemeint war Nachbar Harald) zur Wiederholung drangenommen. Nach weiteren zehn Minuten, in denen sich alle einigermaßen beteiligt hatten, weil sie von Sc aufgerufen worden waren, flachte die Beteiligung ab, und Anna wurde zur Alleinunterhalterin – auf dem von ihr geliebten Gebiet der Interpretation politischer Texte. Ihr Enthusiasmus ließ alle immer wieder verzweifeln – Sc eingeschlossen. Dieser konnte sich aber über die ihm abgenommene Redelast – vor allem an einem Donnerstagnachmittag – freuen. Wenn es einmal überhaupt nicht klappen wollte, wurde die „Corona“ drangenommen, was aber meist nur zu Lachreaktionen führte. Auch bei der unmittelbaren Planung des weiteren Unterrichts ließ er sich – vom Kursthema abgesehen – von seinen Schülern leiten, deshalb entstanden oft lebhafte Schülerdiskussionen, während derer sich Sc im Hintergrund halten konnte.

Eine Leidenschaft unseres Lehrers war die besondere Behandlung „auserwählter“ Schüler.

Friederike, die oft fehlte, kriegte Schelte, und zwar für ihr Engagement in der SV, das von Sc liebevoll als „Pamphletschreiben“ umschrieben wurde.

Scs „Fräulein Becker“ brachte Christina an den Rand des Nervenzusammenbruchs, doch nach einer Weile erkannte auch sie, daß es sich hier eingentlich um eine ausgefallene Art trockenen Humors handelte. Seitdem waren unsere Stunden von Heiterkeit geprägt. Die sich stets mit ihrer Nachbarin Kathrin Schreibduelle liefernde Antje meldete sich im Unterricht nur selten. Wenn Sc es wagte, sie dranzunehmen, bekam er eine kesse Antwort, da sie sich in ihrem Kaffeeklatsch mit Kathrin gestört fühlte. Antworten, die eine Ladung Paroli enthielten, waren bei unserem Lehrer beliebt, es dauerte jedoch eine Weile, bis wir das erkannten und erfolgreich anwandten. Eine andere „Marotte“ war das fast ausschließliche Aufrufen der Schüler bei deren Nachnamen, die er ebenfalls oft verwechselte. Nach zwei Jahren gemeinsamen Unterrichts war dies jedoch auch für Sc blamabel, weshalb die (falschen) Namen Gegenstand von Witzen wurden, um die Lücke zu überspielen.

Christina Becker, Philipp Mittermaier

 

Sc: „Wer hat schon wieder mein Buch genommen?“
Antje, aus ihrer Unterhaltung mit Kathrin über die Mathe-Hausaufgaben herausgerissen, meldet sich plötzlich: „Ich seh’s doch von hier, Herr Schöwel.“

 

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