Die große Konfusion

„Schmidteinander“ ganz humorlos – Zwei Jahre Geschichtsleistungskurs bei Sh

HÄNGEN SOLL SIE, HÄNGEN ––– dachten wir jeden Morgen, wenn wir am Vertretungsplan vorbeikamen.*

In der Tat hing Frau Schmidt dann ja auch häufiger, beziehungsweise ein kleiner gelber Zettel mit ihrem Namen. Das kam vor allen denjenigen zugute, die allen Unkenrufen und Warnungen zum Trotze tatsächlich die verschärfte Packung „Schmidtgift“ mit acht Wochenstunden Geschichte + Gmk gewählt hatten. Dabei hatte sich doch gerade Frau Schmidt selbst im Vorfeld als eifrige Warnerin betätigt. „Wissen Sie wirklich, was Sie tun?“ bekamen vor allem die Schüler zu hören, denen die volle Acht-Stunden-Gefahr drohte. Natürlich wußten wir, was wir taten, denn auf der Gmk-Leiste lauerten rechts Herr Heyne und links Herr Bernhardt. Und außerdem fielen die acht Stunden ja auch einige Male en bloc aus.

Zunächst fielen in Geschichte aber erst einmal ein paar Schüler aus. Als wir uns das erste Mal trafen, waren wir nämlich an die 30 Leute, von denen immerhin ein halbes Dutzend herausgeekelt werden konnte. (So wurde der Hirschhäuser-LK immerhin etwas größer als der in Französisch, aber dies nur nebenbei.)

Nicht nur wegen der Zahlenverhältnisse begann alles in ziemlichem Durcheinander. Zur Abhilfe versuchte Frau Schmidt, einen roten Faden in ihren Unterricht zu bringen, doch verhedderte sich dieser mit der Zeit zu einem nicht minder roten Knäuel, das jegliche Übersicht verhinderte. Von Karl dem Großen sprangen wir munter in die frühe Neuzeit und von dort zum Absolutismus, bis wir unter Umgehung der Französischen Revolution und Napoleons schließlich beim deutschen Nationalismus landeten. Dessen verschlungene Pfade sollten wir dann bis zum Ende der 13/II verfolgen.

Als Fixpunkt des Schmidtschen Geschichtsbildes (bitte dreimal schnell hintereinander aussprechen!) erwies sich das ständig wiederkehrende Element der verfolgten Frau und anderer Minderheiten. Übersichtlicher wurde das Ganze dadurch zwar auch nicht, aber immerhin wußte man ungefähr, was zu sagen war, wenn man etwas gefragt wurde.

Bei anderen Leuten helfen Tafelbilder, den Unterricht übersichtlich zu gestalten. Nicht so bei uns! Obwohl Frau Schmidt bei ihren Schülern großen Wert auf Ordnung legte, hatte sie entsprechende Ermahnungen bei sich selbst schon lange aufgegeben („im Organisieren bin ich eine Niete“). Stattdessen herrschte ein kreatives Chaos, in dem dann – nach bewährter 68er-Tradition – eher intuitiv angefertigte Lernhilfen entstanden.

Auch sonst bemühte sich Frau Schmidt, alte Ideale wie das der Basisdemo kratie in Unterricht und Notengebung einzubringen. Leider kollidierten Anspruch und Wirklichkeit meist in großem Ausmaße. Regelmäßig fand die Noten„besprechung“ zehn Minuten vor Unterrichtsschluß in der letzten Stunde vor der Konferenz statt, und entsprechend lange durfte „diskutiert“ werden. Unsere Meinung wurde daher eher durch lautes Türknallen bei Verlassen des Raumes kundgetan als durch Redebeiträge.

Von Erfahrungen aus der Kommune schien auch manch andere Eigenart unserer Lehrerin beeinflußt. So hatte der Gedanke des Gemeineigentums offenbar tief in ihr Wurzeln geschlagen, denn gleich in der ersten Stunde wurden wir gewarnt: „Bei Kugelschreibern, Radiergummis und so kenne ich keinen Eigentumsbegriff... kann mich nicht erinnern, schon mal einen Stift gekauft zu haben.“ Wir paßten also auf wie die Schießhunde, und das war auch dringend erforderlich. Und von den Geschichten über das Verhalten Frau Schmidts und anderer Lehrer auf der Buchmesse wollen wir hier lieber schweigen, obwohl die kolportierten Vorfälle vermutlich schon verjährt sind.

Nicht gewarnt worden waren wir dagegen vor gewissen Eigenheiten der Klausuren. Konzentriertes Arbeiten wurde durch lautstarke Diskussionen zwischen Lehrkörper und einzelnen Schülern (wen der Vorwurf nun auch immer zu treffen hat) öfters unmöglich gemacht. Ganz zu schweigen von dem Husarenstück mit der berühmten 1919/1934-Klausur, in der ein Text vorgelegt wurde, der – laut Überschrift – von 1919 stammte. In der Aufgabenstellung ging Frau Schmidt dagegen davon aus, er datiere von 1934 und behauptete auf Anfrage kühn, die Überschrift gehöre zu einem ganz anderen Text. Nun, natürlich war der Text in Wirklichkeit von 1919; entsprechend falsch war es, ihn auf den Nationalsozialismus zu beziehen; und entsprechend schlecht mußten deshalb die meisten Arbeiten benotet werden. Unglaublich, aber wahr.

So sprunghaft und hektisch der Unterricht auch war, so gründlich versuchte Frau Schmidt aber eine individuelle Betreuung einzelner Schüler. Das blieb nicht aufs Fachliche beschränkt (wo die gutgemeinten Bemühungen ohnehin oftmals nicht recht ankamen), sondern erstreckte sich auch auf den Gesund heitsbereich. Mit düsterer Miene wurden wir vor den Gefahren des Rauchens gewarnt – etwa nach dem Motto: „Sie sehen ja, was dabei herauskommt, wenn man nicht früh aufhört.“ Trotz des abschreckenden Beispiels vor unseren Augen fruchteten die Mahnungen aber auch hier nicht viel.

Wirklich Vorbildliches leistete Frau Schmidt hingegen bei der Abiturvorbereitung und -betreuung. Den von mancher Seite befürchteten Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen mußten wir dann auch nicht ziehen, dafür bekamen wir sie – in gar nicht metaphorischer Form – beim Schreiben als Verpflegung auf den Tisch gelegt (vielen Dank noch einmal!).

Auch sonst spielte das Kulinarische eine wichtige Rolle für den Gruppenzusammenhalt. In italienischen Restaurants sollte vierteljährlich versucht werden, kursinterne Probleme durch lockere Gespräche aus der Welt zu diskutieren. Bei diesen Gelegenheiten erfuhren wir auch einiges über unsere Lehrerin, zum Beispiel wie sie als junge Frau Archäologin hatte werden wollen, aber nach Göttern, Gräbern und Gelehrten doch bei Frauen, Hexen und der SPD-Geschichte gelandet war. Unvergessen auch ihr im Unterricht vielfach zitierter Onkel, der zum Entsetzen ihrer konservativen „Sippe“ während des Kaiserreiches den Wahren Jacob** zu lesen pflegte.

Darüberhinaus gab es leider, leider nur wenige gemeinsame Unternehmungen des Kurses. Eine Fahrt war zwar geplant, doch kamen wir nie bis nach Thüringen, sondern nur bis Darmstadt. Das war dann einmal etwas ganz anderes (und Schönes!), denn statt um Minderheiten und Strukturgeschichte ging es einmal um Kunst und Kultur!

Obwohl Frau Schmidt selbst schon angedeutet hat, ihr erster Geschichtsleistungskurs könnte gleichzeitig ihr letzter gewesen sein, hier doch noch ein paar Tips für nachfolgende Generationen:

   1. Paßt auf eure Kugelschreiber auf.
   2. Verleiht keine Bücher.
   3. Erwähnt nie, nie, NIE!!!, daß ihr eventuell ein Jurastudium ins Auge faßt (Explosion Frau Schmidts sonst vorprogrammiert).
   4. Sorgt für eine frühzeitige Notenbesprechung (so denn überhaupt möglich).
   5. Verzichtet auf Tafelbilder, schreibt lieber alles selbst mit (es besteht die Chance, daß dann einer der soundsovielen roten Fäden des Unterrichts wieder aus dem Gestrüpp auftaucht und sich als der einzig abiturrelevante entpuppt).

Jost Holtzmann, Jan Martenstein, Saskia Möschl

* was haben Sie denn gedacht? Tres, tres honni soit qui mal y pense!
** ehemalige Satirezeitschrift der SPD

 


 

Notenbesprechung bei Sh:
Schüler: „So eine Ungerechtigkeit habe ich in meinem Leben noch nicht erlebt!“
Sh: „Doch!“
       Sh (verzweifelt): „Bin ich denn wirklich so schlimm?“
Schülerin: „Ach, ich werd’s schon überleben...“
Sh (zerstreut): „Nee...“

 

Beim Galgenmännchen-Spiel.
Schüler: „Frau – Schmidt – ist –––“
Sh: „Ein Scheusal?“
Schüler: „Ach nein.“
Sh: „Scheusal paßt!“

 

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