Oder auch nicht. Das Vorhaben, die Raunheimer Satz und Druck AG in jedem einzelnen Exemplar der Zeitung mit Edding auszumarkern, scheiterte allein an der zu knappen Zeit. Sollte diese windige Zwei-Mann-Gesellschaft tatsächlich noch immer existieren, so raten wir DRINGEND davon ab, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Gleichwohl müßte es schon mit dem Teufel zugehen, wenn das Unternehmen nicht schon längst in Insolvenz oder (eher wahrscheinlich) in Konkurs, beziehungsweise (am wahrscheinlichsten) Bankrott gegangen wäre.

Dabei hatte alles sooo schön angefangen! Damals, im Winter 1994/95, war Philipp auf einen sensationell günstigen Druckanbieter gestoßen, dessen Angebot nur einen einzigen Haken hatte: Wir mußten unsere Arbeit schon sehr zeitig, nämlich am 1. Juni, abliefern, damit die Zeitung bis zum 22.6. bei uns vorliegen konnte. So weit, so gut; Philipp rief dann aber sicherheitshalber schon um den 20. rum in der Druckerei an. Da schien alles in Ordnung, nur einen konkreten Abholtermin konnte man ihm nicht nennen. Bei Versuch Nr. 2 wußte sein Gesprächspartner aber offensichtlich gar nicht, wovon Philipp eigentlich sprach; die mühsam erarbeiteten Druckvorlagen wurden während des Gesprächs aus irgendeiner Ecke gezerrt und zum ersten Mal überhaupt in Augenschein genommen! Dennoch hieß es: kein Problem, man könne uns die fertigen Zeitungen übrigens auch problemlos liefern... aber darauf ließen wir uns wohlweislich nicht ein.

Der erste Abholtermin am 22. Juni platzte. Der nächste, für den 24.6. vorgesehen, desgleichen. Am 25. Juni waren die hoffnungslos überforderten Koryphäen in Raunheim noch immer nicht fertig, versicherten gleichwohl: „Alles kein Problem!“ Aber am 26. Juni war morgens der Abischerz!

So hieß es nun: Am 26.6.1995, Punkt 3.00 Uhr früh, sollten wir die Zeitungen abholen können. Während alle anderen den Abischerz vorbereiteten und sich gemütlich zulaufen ließen, fuhren Philipp, Nina, Fredi und ich daher nächtens nach Frankfurt, im Gepäck Svenja Tabbert, die zum Glück so sehr an einem grippalen Infekt laborierte, daß sie vom Nachfolgenden nicht viel mitbekam. In Raunheim empfing uns ein inkompetenter Mitarbeiter der sensationellen Satz und Druck AG – und teilte uns weitschweifig mit, wir sollten so gegen 4.00 Uhr noch mal wiederkommen. Bis dahin lungerten wir auf einer Tankstelle herum. Um 4.00 Uhr wurden wir um eine weitere Stunde vertröstet. Im übrigen sollten wir dankbar sein, daß die Beschäftigten trotz aller Schwierigkeiten für uns ihre Nacht- und Sonntagsruhe opferten, um so das rechtzeitige Erscheinen einer Schülerzeitung zu gewährleisten.

Raunheim ist nicht mal tagsüber besonders interessant – nach Mitternacht besitzt es den Charme einer verlassenen Plattenbausiedlung. Das Sehenswerteste war noch der Friedhof, wo wir uns nun die Zeit bis Sonnenaufgang vertrieben. Um 4.45 Uhr drang Philipp zornentbrannt in die Räume der Druckerei ein... und kehrte frohgemut mit dem ersten fertigen Exemplar der Abizeitung zurück! Doch welch Graus - die Seiten waren falsch zusammengeheftet. Und also blieb uns nichts übrig, als kochend vor Wut einer nach dem anderen eine enge Treppe in die feuchte, stickige Kellerdruckerei hinabzuschreiten, kurz den Schimmel an den Wänden zu bewundern und die erforderlichen Korrekturen SELBST vorzunehmen. Also ein-, zweihundert Zeitungen aufkrampen, neu sortieren, wieder zukrampen... ein Späßchen, vor allem frühmorgens um sechs nach einer schlaflosen Nacht.

Wie durch ein Wunder wurde die erste Hälfte der Auflage bis um halb sieben fertig. Noch größeres Wunder: Wir mußten nicht einmal mehr bezahlen als ursprünglich vereinbart! Angeblich hatte es nämlich irgendwelche Probleme mit einer Anzeigenvorlage gegeben, für die normalerweise mehr berechnet werde. Großzügigerweise hatten wir nun nicht 50,- DM mehr, sondern den gleichen Betrag weniger zu entrichten... Fredi ließ sich trotzdem (oder daher) nur schwer davon abhalten, den ganzen Laden zu demolieren. Angesichts all der Unverschämtheiten (Liefertermin um vier Tage überzogen, Fehler bei der Ausführung, Auftrag nur unter Mithilfe der Auftraggeber überhaupt durchgeführt) wäre vermutlich ein Gang zum Rechtsanwalt Mittel der Wahl gewesen, aber das sparten wir uns später lieber. Immerhin lebte Svenja im Auto ja noch (der halbkomatöse Zustand, in dem wir sie vorfanden, verging wieder); wir kamen auch mit Müh‘ und Not heil in Gießen an; und im weiteren Verlauf des Morgens wurde gar der gesamte Rest der Auflage zur Schule geliefert. Hier verkauften wir dann den allergrößten Teil; die wenigen verbliebenen Fehldrucke wurden späterhin feierlich verbrannt, unter vielerlei Flüchen wider manchen Lehrer und vor allem gegen jenes Unternehmen, das uns eine wahrhaft unvergeßliche Nacht beschert hatte.

Und wir taten einen Schwur: Niemals wieder eine Abizeitung zu machen.

Schon gar nicht in Raunheim, nachts um halb sechs.

Jost Holtzmann