ZWISCHEN LEBRAUS UND NASSREIS

– mit INGO-TOURS in den Midi

„Herr Vetter, wollen wir nicht endlich mal über die Tutorenfahrt...?“ – „Ach, das machen wir schon noch rechtzeitig.“ Dieser etwas eintönige Dialog zwischen Kathy Michl und Klaus Vetter entspann sich mit schöner Regelmäßigkeit etwa wöchentlich seit Beginn der XII. Klasse. Leider erfuhren wir Schüler dabei nie, wann die „rechte Zeit“ einmal kommen würde, denn ehe wir irgendwelche weiteren Fragen stellen konnten, stellte man uns vor vollendete Tatsachen. Und das ging so:

Vor den Weihnachtsferien – Uns wird eröffnet, daß wir mit den Kursen Manfred Müller (Französisch) und Hirschhäuser (Gemeinschaftskunde) zusam men nach Südfrankreich fahren werden. „Und weiter?“„Ach, das erklärt dann Herr Hirschhäuser.“ Aber wie!

Später – Diavortrag in B 6. Die drei Kurse kommen erstmals zusammen und dürfen sich gleich an die weitere Vorgehensweise gewöhnen: Ein Mensch redet, vier Dutzend andere schweigen und leiden still vor sich hin. Der designierte Reiseleiter (Leider? Verleider? Na, wie auch immer) klärt uns über das von ihm anvisierte Fahrtziel Avignon auf. Nach der ermunternden Mitteilung, in der Stadt sei regelmäßig mit Kreislaufkollapsen zu rechnen, weil die engen Gassen jede Hoffnung auf einen frischen Wind zunichtemachten („im Papstpalast darf nicht gelüftet werden, da hab ich schon starke Kerls wie Baumstämme umfallen sehn“), und daß die Einwohner überdies regelmäßig ihre Nachttöpfe durchs Fenster entleerten, bedauern die Kurse Müller und Vetter ihre Gmk-Kollegen und beschließen, nach St. Maxim zu fahren.

Nach den Weihnachtsferien – Schüler des Hirschhäuser-Kurses fragen Vetter-Schüler, ob sie sich denn „schon auf Montpellier vorbereitet“ hätten. Da der Biologie-Tutor gerade mit dem Skikurs unterwegs ist, scheint ein Protest nicht möglich, danach ist’s dann zu spät. Offenbar haben die Lehrer a) Avignon (Venaissin) nur als Vorschlag ihrerseits aufgefaßt, b) St.Maxim (Provence) als Schülerwunsch wohlwollend zur Kenntnis genommen und c) sich in den Weihnachtsferien daher für Montpellier (Languedoc) entschieden.

Noch später – Bei Hirschhäusers stöhnt alles ob der Last ungezählter Kopien über Südfrankreich, während es der Biologiekurs etwas leichter hat. Herr Vetter hat mit sich folgende Vereinbarung getroffen: Die Schüler bitten ihn um alle Informationen, und er gibt sie ihnen nicht. Im voraus muß trotzdem bezahlt werden - wofür auch immer (wenigstens ist durch Hirschhäuser bekannt, daß der Busfahrer „gesund, blond und ein lockerer Typ“ sei. Na!).

17. September 1994 – drei völlig demotivierte Kurse brechen nach La Grande Motte (Languedoc), dem endgültigen Fahrtziel, auf. Doch Midi bleibt Midi, und der Reiseleiter Ingo Hirschhäuser.

Angesichts der Vorgeschichte konnte eigentlich alles nur noch besser werden. Leider war davon zunächst nicht allzuviel zu spüren. Um fünf Uhr morgens waren wir (nicht mit dem versprochenen gesunden, lockeren und im übrigen recht wenig blonden „Michi“, sondern einem anderen Fahrer) aufgebrochen, alles war todmüde und wollte gar nicht ans Ziel, sondern wieder heim und ins Bett – aber bald mußten die schlafsuchenden Reisenden vor dem schier unerschöpflichen Redestrom kapitulieren, der sich aus dem nimmermüden Munde unser aller Ingos ergoß. Geologische Formationen hüben, agrarische Informationen drüben – aber unser Reiseleiter wäre nicht er selbst gewesen, hätte er das Interesse seiner Zuhörer nicht selbst bei diesen Themen fesseln können. Ohne Pause kam es zu immer wagemutigeren Wortschöpfungen, die dann schließlich in dem Satz gipfelten: „Besonders wichtig ist das Spritzen gegen die – – – Rote Spinne, äh, und gegen die Lebraus – Leblaus – äh, Reblaus...“ Etwaige Vermutungen, die Zunge wisse nicht mehr, was das Gehirn eigentlich sagen wollte, verwandelten sich alsbald in Gewißheit.

Nach einem zwölfstündigen Vortrag über die passierte Umgegend kamen wir dann doch noch am Ziel der Reise an. Nach einer halben Stunde durften wir sogar das Hotel betreten. Und als wir dann an den Strand kamen, ließ der Anblick sogar die Miniaturzimmer vergessen. Mit allem, allem war man wieder versöhnt. Wenige Meter von unserer Unterkunft entfernt lag ein so schöner Sandstrand unter einem so kitschig-wunderbaren Postkartenhimmel vor uns, daß man sich in einen Reisekatalog versetzt wähnte. Ingo, te absolvimus – was er etwas mißverstanden haben mußte, denn er absolvierte am Abend noch eine Stadttour mit den Kollegen Vetter und Müller, wonach uns die drei gehobener Stimmung nächtliche Kletterpartien auf Klippen und Ausbleiben bis spät in die Nacht gewährten. Aus der Ferne bekamen wir noch mit, aus welchem Grunde sich alle drei nicht für die Gesangslehrer-Laufbahn entschieden hatten.

Der nächste Morgen begann für uns Glückliche mit einem selbstbereiteten Frühstück am menschenleeren, doch sonnenbeschienenen Sandstrand (wie wir im übrigen auch sonst Selbstversorger waren). Petits pains au chocolat, Croissants, Baguettes und andere Köstlichkeiten stärkten uns für die Exkursionen des Tages, die gegen zehn Uhr (die Reiseleitung hatte von halb neun freiweillig Abstand genommen) beginnen sollten. Da uns der Große Reiseleiter selbst aber erst nach unserem Frühstück vom Einkaufen entgegenkam, verschob sich alles noch einmal um eine Stunde.

Dann aber ging es los. Bauern wurden von ihren Feldern geholt und hatten uns ihre Anbautechniken zu erklären. Uzès, Les-Saintes-Maries-de-la-Mer, Nîmes, Aigues-Mortes, Montpellier und – natürlich – Avignon mußten uns in fünf Tagen nacheinander ihre Geheimnisse offenbaren, ob sie – und wir – wollten oder nicht. Hugh. Hirschhäuser hatte gesprochen. Und keiner hatte zugehört.

Unverdrossen marschierte „uns Ingo“ im „Geographenschritt“ vorneweg. Selbst seine Co-Tutoren kamen nicht mehr mit. Auf dem Weg zu den Wanderdünen von St.-Maries-de-la-Mer (die irgendwie fortgewandert sein mußten, denn zu sehen bekamen wir sie nie) waren die beiden plötzlich unauffindbar, so daß wir umkehren mußten. Und auch im zweiten Anlauf mangelte es in gewisser Weise an intertutorischer Kooperation. Nachdem auch Herr Vetter in den zwar nich wandernden, doch immerhin biologisch interessant begrünten Dünen aufgetaucht war – er hatte es vorgezogen, „Energie zu sparen“ und etwas zurückzubleiben – wurde er vom Reiseleiter mit Fragen bestürmt:
     „Klaus, was ist das?“
     „Hm... weiß ich nicht...“
     „Ist das nicht Strandhafer?“
     „Weiß ich nicht.“
     „Und was ist das?“
     „Weiß ich nicht.“
     „Und was ist das?“
     „Weiß ich nicht... aber Moment, ich hab hier so ein Heft dabei, da... wo...? ...doch... hier... das sieht genauso aus... Stranddistel steht da drunter...“ Anschaulich wurde uns so der praktische Nutzen des Botanikunterrichtes nähergebracht.

Dessen Bedeutung erläuterte man uns gleich noch ein zweites Mal am lebenden Objekt. Auf einer Feldbegehung wurden wir von dem furchtlosen Gemeinschaftskundelehrer mit dem „Naßreis“ vertraut gemacht. Zwar wissen wir bis heute nicht, wie man Reis sonst noch anbauen könnte als eben naß – aber Ingo blieb dabei, es war kein gewöhnlicher, nein, es war eben Naßreis. Alle Fragen vermochten ihn nicht zu erschüttern. „Ist das Naßreis?“ „Ist das Naßreis?“ „Ist das Naßreis? Herr Hirschhäuser, ist das Naßreis?“ „Ja, das ist Naßreis.“ Zum Schluß glaubten wir es dann selbst, und unser Reiseleiter war in seinem Glauben gar nicht erst erschüttert worden.

Und weiter ging es. Mit Ingo Hirschhäuser auf den Pont dü Gahrt, nach Üzäh und Awignong. Heldenmütig trotzte er allen Versuchen des Französisch-Leistungskurses, an seiner Aussprache herumzudoktern, zeigte uns die wichtigsten Sehenswürdigkeiten – und ließ uns dann freien Auslauf. Überhaupt blieb uns tatsächlich sehr viel Freiraum. Das hatte zur Folge, daß wir von den Städten vor allem McDonald’s, Cafés und Supermärkte zu sehen bekamen, die sich enttäuschend wenig von denen in der Heimat unterschieden. Dafür bot die selbstbereitete Küche einige Höhepunkte, die nach überbackenen Aufläufen und Risotti in gefüllten Paprika gipfelten (vgl. das Rezept für den SCHULTHEISSEN-TOPF am Ende dieses Artikels). Außerdem enstanden auf der Fahrt noch diverse Nachtisch-Creationen, die einen Kompromiß zwischen Früchtecreme und Cocktail darstellten und nicht nur von uns Schülern gerne genossen wurden (vgl. Rezepte für Rêve de La Grande Motte und Crème à la Plage am Schluß. Weitere Zusammenstellungen sind beim Autor erhältlich).

Nicht nur der manchmal im Übermaß genossene Nachtisch und offenbar im Essen vorhandene Bakterien sorgten dafür, daß man sich nach ein paar Tagen in einer Art Hôtel des Invalides wähnen konnte: bandagierte Beine, kritisch angeschwollene Insektenstiche und ein schwerer Fall von Mittelohrentzündung verwandelten die Unterkunft zeitweise in ein Lazarett. Obwohl fast jeder der Fahrtteilnehmer länger oder kürzer so „außer Gefecht“ gesetzt worden war, bedauerten doch wohl alle, daß die Woche so schnell vorbeigehen mußte. Das Ende kam rasch, doch hätte nicht viel gefehlt, da wäre es statt einem Ende mit Schrecken ein Schrecken ohne Ende geworden. Und daran war die Reiseleitung nicht ganz unschuldig.

Die letzte Nacht ließ sich noch ganz herrlich an. Der „harte Kern“ hatte sich, fest entschlossen, dieses Mal durchzumachen, in Zimmer Nr. 135 eingefunden und leerte die Restbestände an Bier, Wein und Drambuie. Zwar tauchte auch Marie François, die Hotelbesitzerin, noch einmal auf und konstatierte, es sei zu laut; allzu schlimm kann es aber nicht gewesen sein, da eine der Zimmerinsassinnen ungeachtet der Anwesenheit von bis zu zehn Personen (manchmal versehentlich auf ihr sitzend) bis zum Morgen duchschlief. Am Ende waren’s nur noch zwei, die sich in die Morgendämmerung der Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche aufmachten, um die Sonne aufgehen zu sehen – aber da leuchtete gar nichts, wofür es einen guten Grund gab.

Von Anfang an hatten sich Stimmen erhoben, die eine Fahrt in den Midi während des Frühherbstes für blanken Leichtsinn hielten. Der Sturm, die Unwetter, die Überschwemmungen...! Nun, all dies kam jetzt auf La Grande Motte zu. Und deswegen war es auch unmöglich, die Sonne zu sehen, nicht nur am Morgen, sondern den ganzen folgenden Tag. Es regnete und regnete, und wenn es zwischendurch mal aufhörte, tobte noch immer ein derartiger Sturm, daß er das Vorwärtskommen erschwerte. Als die Abfahrtszeit dräute (von der Reiseleitung in eigenmächtiger Terminveränderung auf elf Uhr abends vorverlegt), herrschte in der Hotelhalle Weltuntergangsstimmung. Alle paar Minuten kamen neue Horrormeldungen aus dem Fernseher: Montpellier unter Wasser... diese Autobahn überschwemmt... jene Zufahrt nicht mehr benutzbar... Und während die Augenblicke verrannen, das Languedoc sich draußen in ein Aquarium verwandelte, saßen unsere Tutoren seit Stunden im Restaurant, um „Michi“ zu verköstigen!

Das Eintreffen des Großen Reiseleiters setzte der Panik aber alsbald ein Ende. Wir kamen noch aus dem mittlerweile zum Katastrophengebiet erklärten Süden heraus und hätten eigentlich glücklich sein sollen - unbegreiflicherweise herrschte jedoch eher Unmut vor, als uns eine wohlbekannte dröhnende Stimme um halb drei Uhr morgens via Lautsprecher die Erdölraffinerien bei Lyon erklärte. Neun Stunden und ein paar hundert Kilometer weiter baute der inzwischen ausgewechselte Busfahrer hundert Meter vor dem Ziel beinahe den einzigen Unfall der Reise, als er in Gießen eine rote Ampel überfuhr – aber Hauptsache, wir waren heil daheim.

So endete denn, was in Unmut und Triefligkeit begonnen hatte, in Unwetter und Chaos... hm... ach was, dazwischen war es... wie sagte Sandra doch gleich immer...? Natürlich:

„Also, ich fand's hier voll geil!“
(Sandra L.)

Jost Holtzmann

 

Hs: „Wir bleiben jetzt dicht zusammen... Man nimmt den Finger aus dem Popo, wenn man mit dem Onkel spricht!“      Hs: „Die Schweigeminute für den Chef! –Wir gedenken der Leute, die jetzt um 8.45 Uhr in der Schule sitzen müssen, und besonders an unseren Chef, der jetzt vor dem Bildschirm sitzt und nichts erkennen kann.“

 

Ve: „Wenn ich ein Amphitheater sehe, werd’ ich zum Hirsch.“

 


         Schultheißentopf


 Man nehme:

   1 talentierten Sudelkoch
   1 seit Jahren nicht mehr geputzen Herd
   Reste einer Reisfüllung
   2 unbedarfte, hungrige Gourmandes


Vor Zubereitung des eigentlichen Gerichtes muß einem befreundeten Maître (vgl. erste Zutat) Gelegenheit gegeben werden, die Küche bei der Zubereitung hochklassiger gefüllter Paprika möglichst großräumig zuzusauen. Anschließend Reste der Mahlzeit von den Tellern abkratzen und zusammen mit dem in der Kochecke Vorgefundenen auf eine Platte geben. Die Patina (andere Ausdrücke: Siff, Dreck, Pfui-bäh-lebt-das-etwa-noch?) vom Herd abkratzen und zusammen mit etwas Haushaltsreiniger ebenfalls auf die Platte geben. Kurz stehenlassen und die beiden nach dem Genuß hochprozentiger Getränke unbedarften Gäste nur halbherzig daran hindern, die eigentlich für den Mülleimer bestimmten Reste aufzuessen. Beim Lachen darauf achten, daß die übrigen Anwesenden nichts bemerken. Sicherheitshalber Notarztnummer bereithalten.

 


         
Crème à la Plage

 Zutaten:

   1 geschnorrte Flasche Baileys
   1 Flasche Amaretto
   1 unbestimmte Menge süße Sahne
   einige Sandkörner


Sich am Strand eine Flasche Baileys anvertrauen lassen, diese kurz in den Sand stellen und anschließend mit ins eigene Zimmer nehmen. Die Reste kühl stellen. Am nächsten Tag den verbliebenen Baileys in den Shaker geben, mit einer entsprechenden Menge Amaretto auffüllen. Sahne nach Belieben hinzufügen (bei einem Verhältnis von 1:1 gegenüber dem Alkohol besteht die Gefahr, daß man statt eines Cocktails doch wieder Nachtisch bekommt). Gut durchschütteln. Mit einigen Sandkörnern von der Baileys-Flasche garnieren.

 

 


         
Rêve de La Grande Motte

 Zutaten:

   Blue Curaçao
   Exotik-Fruchtcocktail (französisches Fruchtsaftgemisch)
   Malibu
   Grenadinesirup
   süße Sahne


Blue Curaçao, Fruchtsaft und Malibu etwa im Verhältnis 5:3:1 mit einem kräftigen Schuß Grenadinesirup im Shaker vermischen. In ein Glas gießen und mit Sahne auffüllen (Menge nach Belieben). Gut umrühren. Soll eine süße Creme entstehen, Sahne mit den übrigen Zutaten im Shaker vermischen. Sich beim Trinken nicht von der eklig-grünen Farbe stören lassen.

 

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